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Theodor Althaus im Schicksalsjahr 1849

©Renate Hupfeld

 

 

"Zeitung für Norddeutschland"

Nach den schmerzhaften Einschnitten des Jahres 1848, das mit dem bitteren Verlust der Mutter endete, war der Neubeginn in Hannover nicht gerade einfach, zumal Theodor Althaus wegen fortdauernder gesundheitlicher Probleme einen Arzt konsultieren musste. Die Stadt war für ihn in jeder Hinsicht Neuland. Als leitender Redakteur hatte er nicht nur die Produktion seiner "Zeitung für Norddeutschland" in Gang zu bringen, sondern er musste sich auch mit den sozialen und politischen Gegebenheiten der Stadt vertraut machen und Leser gewinnen. Sein Arbeitspensum war gewaltig und es kam selten vor, dass er mal einen Abend für sich hatte. In Briefen und Notizen beklagt er sich, dass sein Privatleben gegenüber dem Beruf völlig in den Hintergrund getreten ist und dass er kaum noch Zeit für Beschäftigungen hat, die ihm Freude machen und die er eigentlich zum Leben braucht, wie zum Beispiel andere Texte als nur Zeitungsartikel lesen oder geplante Schreibprojekte wieder hervorzuholen.

Was die nationale Bewegung betraf, waren die conterrevolutionären Kräfte weiterhin erstarkt und machten den Männern im Parlament in Frankfurt das Leben schwer. Zwar waren die Grundrechte als Reichsgesetz verkündet worden, auch die Beratungen über die gesamtdeutsche Verfassung weitgehend abgeschlossen, jedoch waren die Parteien zersplittert in eine kleindeutsche preußische und in eine großdeutsche österreichische Fraktion.
Als am 4. März 1849 die Octroyierung einer Gesamtverfassung für Österreich erfolgte, wurde es plötzlich einfacher, weil nun die zweite Variante selbst für die entsprechende Fraktion nicht mehr in Frage kam. So beschloss das deutsche Parlament auf Antrag Carl Theodor Welckers die kleindeutsche Lösung anzustreben und dem preußischen König die erbliche Kaiserwürde zu übertragen. Das war ein großer Moment, der für ein paar Tage im ganzen Land neue Hoffnungen weckte. Doch leider spielte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen nicht mit, die Ablehnung der Kaiserkrone erfolgte am 3. April 1849. Noch einmal gab es ein kurzes Aufflackern der Hoffnungen durch Sieg von Eckernförde am 5. April. Doch als im weiteren Verlauf des Monats  April in Hannover, Dresden und Berlin die Kammern aufgelöst wurden und der preußische König am 28. April die in monatelanger Arbeit mühevoll erarbeitete Reichsverfassung ablehnte,  konnte das gesamtdeutsche Projekt als gescheitert angesehen werden.

Am Ende dieser verhängnisvollen Aprilwochen des Jahres 1849 schrieb Theodor an seine Schwester:

"Ich wende eine Zeit zum Briefschreiben an, die für etwas Anderes bestimmt war; aber dies ist am Ende das Beste, womit ich die Leere nun ausfülle. Die Locken waren mir in den letzten Tagen wieder etwas gewachsen, aber als ich sie schüttelte, kamen die Philister über mich...Es ist die alte Bremer Misere und ich habe schon mehr als einmal gewünscht, ein kleines Localblatt zu haben, das aber mir eigen gehörte. Ich bin zufällig der, der jetzt hier noth thut; ich verstehe es allenfalls, zu agitiren und die Leute warm zu halten...Es ist mir schon sehr schwer, in den Wind schwatzen und entrüstet sein zu müssen, wo ich über nichts staune, wo ich Alles von Anfang wußte und vorhersagte. ... und nun soll ich schweigen, weil die Waschlappen zittern. Und dann doch wieder nicht schweigen, sondern halb reden. Das ist ein tägliches Sterben, um mit Paulus zu sprechen." (Lebensbild S. 337)

Was war zu tun angesichts dieser deutschen Katastrophe? Das musste sich jeder engagierte Bürger fragen, für den eine Auswanderung nicht in Frage kam. Sollte man sich mit dem reaktionären Weg der Regierungen arrangieren oder sollte man alles versuchen, das in Frankfurt erstellte gesamtdeutsche Werk notfalls mit Waffengewalt zu retten? Mit Beginn des Monat Mai folgten Volkserhebungen am Niederrhein, in der Pfalz, in Baden und in Sachsen.

Auch in Hannover spürte man, dass es unter der Oberfläche brodelte und Theodor hatte seine Visionen noch nicht ganz begraben. Wie sollte unter diesen Umständen seine Zukunft aussehen? Am 13. Mai 1849 erließ er in der "Zeitung für Norddeutschland" einen Aufruf zur bewaffneten Durchführung der gesamtdeutschen Reichsverfassung. Das war der letzte Versuch und endete mit seiner Verhaftung am darauf folgenden Tage.


Gefängnis vor dem Clevertor in Hannover

Theodor Althaus wurde am 14. Mai 1849 als Hochverräter verhaftet und in das Gefängnis vor dem Clevertor gebracht. Er wurde in einem einigermaßen angenehmen Raum untergebracht und sehr fair behandelt, durfte sogar noch die Redaktion seiner Zeitung für den nächsten Tag erledigen. Seiner Schwester berichtete er:

"Ich weiß nicht, ob Du diesen Brief erst wirst räuchern müssen, um ihn rein für Dich zu haben, aber so viel ist richtig, daß ich ihn am Fenster hinter recht artigen handfesten Eisenstangen schreibe, wo sich der 'Gesang der Jungen bei Amnestirung der Alten' recht hübsch begreifen läßt und die Herwegh'sche Prophetie erstaunlich zu Ehren kommt:
Die Alten hinaus und die Jungen hinein,
Wie sollte der Weltlauf auch anders sein?
Jedenfalls ist es mir sehr angenehm, daß auch diese Affaire nicht so en passant wegen eines unbedachten Wortes, sondern wegen einer Haupt- und Cardinalssache angefangen ist, da es gerade der Angelpunkt des ganzen Conflicts zwischen hier und Frankfurt ist und meine etwaige Verurtheilung nur eine Verurtheilung der Nationalversammlung sein würde. Nun, ich habe es nicht so gemacht, aber es ist mein Schicksal, mein echtes Schicksal geworden, daß auch über dies Stück meines Lebens die Entscheidung zusammenfällt mit der Entscheidung über das Vaterland. Siegen wir, so wirbelt derselbe Sturm auch diese armseligen Proceßacten mit fort: unterliegen wir, wo wird man sich an uns rächen. Das ist der Weltlauf..." (Lebensbild S. 342)

Auf besorgte Briefe von zu Hause antwortete er am 17. Mai 1849:

"Ich befinde mich also, wie es einem guten Patrioten ansteht, genau in demselben Zustande wir mein Vaterland, das heißt, in einer provisorischen Gefangenschaft. Wie Deutschland, habe ich mich auch noch nicht auf ein Definitivum dieses Zustandes eingerichtet, und hoffe noch immer, in einigen Tagen ihm zu entgehen, wenngleich die Schildwache unten schwerlich zu mir übergehen wird. Ich nahm blos ein wenig Wäsche und Papier mit; Bücher, Meublen und Alles sonst ist noch zu Hau8se; eingerichtet bin ich überhaupt noch nicht. Wenn der Staat mich aber länger als Gast bei sich wünschen sollte, so würde ich das Alles ganz nach meinem Belieben haben können. Wollt Ihr Euch meine gegenwärtige Lage denken, so stellt Euch irgend eine geweißte und mit Sand bestreute Bauernstube vor, hoch, ziemlich lang, ein großes Fenster, ein alterthümlicher Ofen, dito Stühle und Tische. Schlafstube nebenan. Man versichert mir, daß ich das beste Staatsgefängniß habe (und ich glaube es gern), man sei hier aber überhaupt auf dergleichen Gefangene nicht eingerichtet. Das Zimmer geht in den Hof, wo rund umher, den ganzen Tag über, aus den vergitterten Fenstern eine laute und zuweilen nicht uninteressante Conversation von Seiten meiner Standesgenossen geführt wird. Im Hofe steht übrigens ein blühender Apfelbaum und einige grüne Wipfel von der Promenade ragen über die Dächer her. Das Ganze heißt: Staatsgefängniß vor dem Cleverthor. Die Lage meiner Zelle ist sehr günstig, Morgens von früh bis gegen acht die Sonne. Ich lebe den ganzen Tag bei offenem Fenster. Es kommt mir Alles etwas studentisch vor, blos daß man nicht so viel Bier trinkt und nicht so viel Langeweile hat..." (Lebensbild S. 342/343)

Drei Tage später:

"Nun bin ich wenigstens aus dem provisorischen Zustand provisorisch befreit; d.h. man hat beschlossen, einstweilen auf das Cautionsanerbieten nicht einzugehen und, nebenbei gesagt, darf auch ich auf diesen Beschluß nicht näher eingehen. Es ist Vorschrift, und damit ist die Sache abgemacht; das muß ich aber noch hinzufügen, daß ich Alles, was an mich kommt, frei und ohne Durchsicht erhalte; die Controle trifft nur das, was von mir kommt. Ich habe übrigens schon gestern eine Unterredung mit meinem Anwalt (den ich ohne Zeugen sprechen darf) gehabt, und wenn Ihr darin etwas Beruhigendes findet, so ist's mir lieb, obwohl ich Euch ebenso wenig mit Illusionen füttern will, als ich mich selbst von ihnen nähre.
Viel erfreulicher und solider ist eben gerade für meine Natur dies einstweilige Ende des POrovisoriums, des unerträglichen Zustandes für mich par excellence, - ein Bewies meiner echt conservativen Natur, die freilich nur den Guten kein Geheimniß ist. Ich werde mir jetzt nach Belieben aus meiner Wohnung herbeischaffen lassen und ein ruhiges Arbeiten anfangen, wie ich sonst vielleicht noch lange nicht dazu gekommen wäre. Das zweite sehr Erfreuliche ist ein großer Maiblumenstrauß (der Zirenen und des Goldlack nciht zu gedenken), den ich gestern, wenn auch nicht von schönen, so doch von wohlwollenden Händen geschickt bekam. Er steht vor mir und füllt das ganze Zimmer mit Duft, und da ich bei offenen Fenstern lebe, so schadet ihm auch der Cigarrendampf nicht, er übrigens so ziemlich den ganzen Tag in hübschen blauen Wokchen hinaus in die Freiheit wirbelt. Unter diesen blauen Wolken habe ich den fernen Welthorizont einmal in zwei Gestalten getheilt, deren jeder ich sehr ruhig entgegensehen konnte, und eine dritte Spur konnte ich kaum deutlich entdecken. Die eine Gestalt war unser Sieg, und vor dem klirrte wie Strohhalme dies Gitter wie tausend andere zusammen, und zu thun blieb denn auch noch genug. Die andere: unser Unterliegen; und dann wäre ich sehr dankbar, von der Tortur, es mit Worten und vergeblichem Auflodern zu Grabe geleiten zu müssen, erlöst zu sein. Je länger ich lebe, desto mehr gewinne ich einen gewissen - ich will nicht sagen: Glauben an das Schicksal - aber doch Erkenntniß dessen, was echtes Schicksal ist, und seiner Wohlthat. Echtes Schicksal ist vor allem, was zusammentrifft mit einem Wendepunkt des individuellen Lebens, am freudigsten ertragen, wenn es durch dasselbe herbeigeführt, geschaffen ist, nicht eben mit Absicht, aber als nothwendige Folge.  E i n  Schicksal, so schön und heilig, wie wir es mit jedem Tage mehr erkennen, wissen wir ja stillschweigend, und fühlen täglich den Dank, den wahrsten Herzensdank für das Schicksal in uns aufsteigen. Es wäre  n u r  Schicksal, wenn es vor Jahren so gekommen wäre. Nun sein Kommen aber mit der gewußten, von uns Allen gekannten, geliebten, genossenen Vollendung ihres ganzen Seins zusammentraf und alles Abwärtsgehende, alles schmerzliche Brechen oder Verwandeln in ihren Lebenskreisen erst nachher begann, als  s i e  über Alles hinausgehoben war: nun verehrte ich zum ersten Mal, so lang ich denke, das Heilige, das Lebenvollendende dieses Schicksals; ich begreife, wie die >Hellenen, wenn auch erst nur in Ahnung, das Schicksal und die Nothwendigkeit verehren konnten, wie es ihres Herzens Religion war. Beide Worte liebe ich; sie sagen mir nur dasselbe in verschiedenen Gestalten: die Nothwendigkeit bricht wie mit dem Schlag elementarischer Kräfte herein; das Schicksal ist in den Wendungen und Lebenslinien des Menschlichen, der Seele." (Lebensbild S. 344/345)

Brief nach Hause am 22. Mai 1849:

"Die Erlaubnis zum Spazierengehen ist sehr schnell eingetroffen. Herr Meißner (der Untersuchungsrichter) brachte sie mir selbst, und ich benutze sie gehörig. Heute Morgen gleich beschloß ich, auf diese Weise (was sonst noch Jahre hätte dauern können) einmal die Umgebungen von Hannover kennen zu lernen, und war länger spazieren, als ich seit beinah einem Jahre mich erinnere. Wir, das heißt ich und und ein Wesen in Civil, waren in dem Georgspark und nach Herrenhausen. Der Gedanke an eine Gefangenzelle muß sich doch auch in der Ferne bedeutend modificiren, wenn man morgens trotz alledem unter Palmen (es ist ein Palmenhaus in Herrenhausen) wandeln kann. Der Park erinnerte mich etwas an Potsdam...Mein Cerberus ist natürlich der sanfteste Heinrich, den man sich unter einem Stadtsoldaten in Civil nur denken kann..." (Lebensbild S. 346)

Dass er wegen gesundheitlicher Probleme einen Doktor W. konsultierte, sich homöopathisch ernährte und sehr früh schlafen ging, erwähnte Theodor in seinen Briefen nur am Rande.


Theodors "Idyllen" im Stadtgefängnis Hannover

Aus dem Stadtgefängnis, in das er am 24. Mai 1849 umquartiert worden war, berichtete er dahingehend, dass sein Leben und seine Erlebnisse dort eher als "Idyllen", denn als Strafe bezeichnet werden konnten. Einen Tag nach seinem Eintreffen schrieb er nach Hause:

"Ein Brief ohne Censur, Ihr Lieben! Um es Euch, wenn Ihr zweifeln solltet, zu beweisen, erzähle ich gleich an der Spittze, wie meine Sache eigentlich steht. Sie möchten gern eine Verschwörung herausquiriren und haen mich darum nicht frei gelassen, weil sie in der Zwischenzeit bei den anderwärts im Lande angestellten Untersuchungen Verweise zu finden hofften, auf deren Grund sie z.B. meine Papiere mit Beschlag belegen könnten, und dergleichen. Dann ist es ihnen, wie sich von selbst versteht, auch darum zu thun, die Zeitung zu ruiniren....
Gestern bin ich nun 'zu uns', d.h. in das Stadtgefängniß, übergesiedelt und befinde mich hier bedeutend besser. Ich benutze diese censurfreie Gelegenheit, um das gleich sagen zu können, weil ich es später nicht dürfte, ohne die guten Leute zu compromittiren...Vorschriftsmäßig sollten wir eingeschlossen sein...und die Humanität des Gefangenenwärters wohnt man jetzt bei offenen Thüren, ein Gang mit großen Fenstern davor. Auch sonst ist Alles etwas menschlicher eingerichtet und mehr in die besseren Regionen der Studentenwirthschaft hinaufgehend: die Stuben größer, anständiger, auch der Hof, in den wir Aussicht haben, ist bedeutend weiter und nicht beengend. Scherzweise cursirt hier von der Vorzüglichkeit dieser Kleinkinderbewahranstalt das Factum, daß Dr. M., der gestern absolvirt hatte, nicht gern von hier fort konnte - sündhafter Weise, denn er ist verheirathet; und die Redensart: daß zur Vollkommenheit hier eigentlich nichts fehlt, als der Hausschlüssel für den Gefangenen. Ich bitte übrigens, selbst Eueren genaueren Bekannten nur im Allgemeinen zu sagen, daß ich es hier besser und freundlicher habe, denn es könnte doch zufällig an irgend einem Klatschfaden wieder bis hierher gesponnen werden, und der gute Seehausen (der Gefängnißwärter und Stadtsergeant) müßte es büßen.
Als ich gestern kam, war es nun wirklich wie en famille. Abgesehen von den Sofas war eine complete Versammlung auf Schlägers Stube..." (Lebensbild S. 348/349)

Am 21. Juni 1849 berichtete er seiner Schwester über eine weitere "Idylle":

"Vorgestern machten wir eine verfehlte Expedition, verfehlt nur in Halsen's (des Stadtsoldaten) Sinne, der mir nämlich ein ländliches Schützenfest versprochen hatte; aber nicht verfehlt in meinem Sinne, da wir gehörig marschirten, mitunter auf jedem gesegneten Marschboden, wo man das Vaterland an den Stiefeln mitnimmt. Das Schießen soll aber erst über acht Tage sein, und um die Komik voll zu machen, hätte nur gefehlt, daß wir eine halbe Stunde später nach Haus gekommen wären und unser Heimath schon verschlossen gefunden hätten..." (Lebensbild S. 352/353)

Am 8. Juli 1849 berichtete er über den Besuch einer Bekannten (J.) aus Detmold:

Nach mancherlei traurigen Enttäuschungen und Verfehlungen ist es J. endlich doch gelungen, mit mir spazieren zu gehen, zweimal sogar. Halsen war nämlich in diesen Tagen sehr beschäftigt bei den Vorbereitungen zu dem großen Schützenfeste, das man hier in nächster Woche drei Tage lang in Saus und Braus, als ein Fest des 'Frohsinns', feiern wird, zu welchem 'Frohsinn'! alle Hannoveraner sich durch ihr Comité einladen lassen. Du siehst daraus ungefähr, wie tief die Empfindungen für die deutsche Sache hier gehen. Was da unten im Süden gfeschieht, ist eine fremde Welt, die man über dem Wein, und das tödtliche Blei, das dort pfeift, über dem lustigen Knallen hier am besten vergißt.
J. hat gewiß die Idylle von neulich Abend nicht verschwiegen, obgleich sie sie nicht miterlebte. Wir waren nach dem Pferdethurm hinaus gewesen - sie nämlich, Halsen udn ich - sie kehrte aber, ich weiß nicht weshalb, bald wieder um, und Halsen und ich gelangten auf dem Rückwege an den Dir wohlbekannten 'Schersanten sein Garten', wo zwei von seinen Kindern, die älteste Tochter und der neulich von mir bemutterte Taugenichts, Erbsen pflückten. Da der Tag sich aber zum Abend neigte und der Korb noch nicht voll war, halfen wir mit, bis Mond und Sterne aufgingen und der Thau anfing zu tropfen; es war wenigstens halb zehn, als wir nach Hause kamen." (Lebensbild S. 354)

Weiter schrieb er im selben Brief an seine Schwester:

"Vom Schützenfest, dessen heiße Leiden und Freuden in diesen Tagen fortdauern, habe ich nicht viel gesehen, da Halsen in einer Eigenschaft als Stadtsoldat dort Tag und Nacht beschäftigt ist. Gestern Abend aber brachte Seehausen mich in einer freien Stunde hinaus, und ich wurde, als Kind vom Hause, in das Zelt des Stadtsoldaten geführt, wo ich das ganze ehrenwerthe Corps kennen lernst. Heute morgen hörte ich eine dramatische Szene, mir vollkommen verständlich, obgleich sie nur aus zwei Melodieen und unbestimmten Hochrufen bestand. Irgend ein loyaler Major läßt nämlich, beim Ausmarschiren von der ganzen Bürgerwehrmusik den loyalen Militärwirbel machen, nach den ersten Zeilen von 'God save the king' variirt. Ich höre dies mit nicht geringem Erstaunen, als plötzlich die Compagnieen sich empören und jeden Compagniemusik nach der Reihe den Oppositionswirbel, variirt auf 'Des Deutschen Vaterland', schlagen läßt und ihn mit ungeheuerem Hochschreien begleitet. Es war scherzhaft, diese ganze Intrieguen- und Empörungsgeschichte lediglich aus diesen Tönen zu erfahren." (Lebensbild S. 354/355)

Am 16. Juli 1849 skizzierte er weiter:

"Meine Idyllen spinnen sich immer weiter fort; die letzte begab sich gestern, mit des Sergeanten Töchterlein. Es war nämlich der letzte Tag des Schützenfestes. Seehausen mußte aufpassen, ob der König käme; Halsen war bei den Völlern und also nur der bavard Untercerberus da. Mit ihm spazierte ich hinaus, und es ereignete sich, da er sich immer in Respectsentfernung hielt, daß er mich im Gedränge verlor und ich ihn suchte, aber nicht fand. Mein natürlicher Weg war nun zum Zelt meiner Freunde, der ehrenwerthen Stadtsoldaten, wo auch die Kleine saß und die Kleineren bemutterte. Als es dunkel wurde und kein Cerberus erschien, schlug ich vor, mich von den Kindern escortiren zu lassen, um doch durch irgend einen Faden an die executive Gewalt im Staate geknüpft zu sein. Das kam sehr gelegen, weil eben der Sergeant nach Begleitung für seine Kinder suchte, und so schlenderten wir denn unter gegenseitigem Geleit nach Hause." (Lebensbild S. 355)

Am 20. Juli 1849 schrieb er über die Hochzeitsfeier der Tochter seines Verlegers Jänecke, für deren Hochzeitszeitung er einen Artikel geschrieben hatte und an der er teilnahm:

"Gestern musterte ich mit großer Heiterkeit meine unterste Lade, die mir wie in einer unvordenklichen Sündfluth begraben schien, um zu sehen, wie weit ich wohl einigermaßen in einem hochzeitlichen Kleid erscheinen könnte...Um sechs Uhr flog ich aus, und als wenn ich ein junges Mädchen wäre, ließ Halsen mich da und fragte, wann er mich wieder abholen sollte. Großer Gartensaal draußen, in einem öffentlichen Lokal; Monstergesellschaft. Herr Pastor B. war froh, die Neugierde zweier gewechselten Worte mit dem Anbieten seines Ehrenplatzes zur Rechten der Braut zu bezahlen - man saß nämlich noch bei Tische. Alles war in dulci jubilo, und Du kannst denken, daß ich kein finsteres Gesicht dazwischen brachte. Kritisch war es als, im weiteren Verlauf der Dinge, ein stiller Verehrter von mir einen inspirirten Toast ausbrachte, auf den Mann der - Einheit - Kerker - Einheit Deutschlands - gute Sache - Leiden, und so weiter, worauf ich namenlos viel anstoßen mußte, während die Musik aus dem Tusch in 'Des Deutschen Vaterland' überging [Man ist das hier so gewohnt; die Leute haben es bei jeder Gelegenheit, wo etwas Politisches berührt wird, im Instinct]. Die Neugierde, mich sprechen zu hören, brachte in der lärmenden Menge eine so schauerige Kirchenstille hervor, daß es nicht anders ging, und meine sanfte Stimme nothwendig hervor mußte. Da man nun schon Liebe - Liebe und Frohsinn - Einigkeit - Vergnügtheit - Heiterkeit - und ähnliche Sachen in erfinderischer Vollständigkeit betoastet hatte, machte ich die Sache am kürzesten mit einigen friedlichen Worten über das Vaterland ab. Nachher Promenade im Garten, Polonaise und Defiliren hinauf in den Tanzsaal, wo ich meiner Dame die erste Enttäuschung bereiten mußte, daß ich wirklich keinen Walzer tanzte. Um zehn Uhr kam Halsen und holte mich ab." (Lebensbild S. 356)

Außer der beschriebenen "Idyllen" in Form von weiteren Spaziergängen schrieb Theodor weiterhin Leitartikel für die "Zeitung für Norddeutschland" und nutzte die Zeit zu geschichtlichen Studien, zum Beispiel über die Revolutionsgeschichte der Spanier.

Am 7. August 1849 holte ihn seine persönliche Realität ein, indem das Stadtgericht Hannover nach drei Monaten die Ermittlungen gegen ihn abgeschlossen hatte und ein Urteil aussprach. Theodor Althaus wurde vom Stadtgericht Hannover zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er beruhigte sich selbst und seinen Vater mit der Aussicht, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen war. Das Oberappellationsgericht in Celle würde sich in zweiter Instanz mit seinem Fall beschäftigen. Außerdem hielt er es für ziemlich sicher, dass die Stände bei ihrer ersten Zusammenkunft Ende September einen Antrag auf Amnestie stellen und das Ministerium dem stattgeben würde.

Ende des Monats August bekam er Besuch von seinem hochbetagten und kranken Großvater Dräseke, der sich auf der Durchreise von Bad Homburg nach Potsdam befand. Sie verbrachten einen Abend und einen Vormittag mit regen Gesprächen. Der alte Mann war in seinen jungen Jahren selbst ein Prediger gegen Unterdrückung gewesen und betrachtete Theodor als "Gefangenen im Dienste der Freiheit Deutschlands".

Die Gefängniszeit und die Zeit zwischen dem Urteil erster und einem korrigierten Urteil zweiter Instanz zog sich länger hin, als Theodor gehofft und erwartet hatte. Das Oberappellationsgericht in Celle hatte Ende September des Jahres 1849, mehr als vier Monate nach der Verhaftung, immer noch keine Entscheidung getroffen. Sicherlich werden dem jungen Gefangenen bange Gedanken durch den Kopf gegangen sein, düster werden sie gewesen sein, wenn er an Deutschland in Zeiten des "Nachmärz" dachte. Julius Fröbel, sein Freund aus der Leipziger und Frankfurter Zeit, war nach Amerika ausgewandert. In einem Brief an seine Cousine Minna Schmitson schrieb er am 2. Oktober 1849 nach Frankfurt:

"Ja, dieser Freund [Julius Fröbel], den ich in gewissem Sinne meinen einzigen nenne, ist nun, wie du weißt, in den letzten Tagen des Septembers an Bord des Liverpooler Dampfschiffes nach Amerika gegangen, und es war nicht wohl anders möglich; denn die Bedingungen, welche er, wie ich, für seinen längeren Aufenthalt in Deutschland fordern mußte, waren nicht erfüllt...Fröbel ist in einer ganz anderen Lage als ich. Soweit seine geistige Natur das continentale Leben bedurfte, aufnehmen konnte und mußte, war es geschehen; er hatte hier gleichsam nichts mehr zu suchen...Mit mir ist es vielfach anders...Mir ist die alte Welt noch Mancherlei schuldig..." (Lebensbild S. 363)

Auch der Monat Oktober verging ohne Änderung seiner Situation. Theodor tröstete sich mit dem Gedanken, dass es anderen noch schlimmer erging. Er dachte besonders an seinen in Bonner Studentenzeiten so geschätzten Lehrer und späteren Freund Gottfried Kinkel, derzeit gefangen gehalten im Zuchthaus Naugard in Pommern. Gottfried Kinkel war ein Demokrat, der in Anbetracht des Erstarkens der reaktionären Kräfte immer radikaler geworden war und der das gemacht hatte, wozu Theodor in seinem Artikel am 13. Mai 1949 aufgerufen hatte: Als Anführer der letzten revolutionären Kräfte in Baden, war er am 29. Juli 1849 von preußischen Truppen gefangen genommen und mit Urteil des Rastätter Kriegsgerichts zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden. Einige Monate später kam er in das Zuchthaus nach Berlin Spandau, wo er am 6. November 1850 von seinem Schüler und politischen Freund Carl Schurz befreit und über die Ostsee ins Exil nach England gebracht.

Seinen 27. Geburtstag feierte Theodor zusammen mit seinen Lieben aus Detmold, die nach Hannover gekommen waren. Außerdem bekam er eine Fülle von Briefen und Geschenken. Besondere Freude bereitete ihm ein Bild von Ary Scheffer mit dem Titel "Mignon und der Harfner", das Anna Koppe aus Berlin ihm geschickt hatte. Er bedankt sich mit folgenden Worten:

"Wie wahr haben Sie es empfunden! Dies Bild ist nicht, was traurig macht, sondern tröstend ist seine Kraft. Es gibt Gestalten, die erheitern; die aber sind nur geschaffen für die leichten Wolken des Mißmuths, und Erheiterung ist kein Trost, denn sie kennt den Schmerz nicht. Wegscherzen, was die Seele wahrhaft trübt, ist wohl lieblich, aber es ist dann doch nur ein Wechsel von dunkel und hell, kein Licht, das aus dem Dunkel selbst überwindend hervorgeht. In diesem Bild aber ist das Schicksal, unverscheucht, ungeleugnet - auch über Mund und Stirn der Jugend ist es hingezogen. Sie schweigt, aber in ihr ist die Sehnsucht, der Blick in die Ferne, ja, sie selbst ist des Scherzes Verklärung geworden. Eben weil sie verstummt, weil sie ruhig ist in sich, spricht sie unerschöpflich neu zum Herzen, und alle Gedanken, alle Gestalten der Zukunft sind in der Knospe dieser Ruhe eingeschlossen, weil sie ihre Fülle in kein Einzelnes ergossen hat. Sie haben nicht nur ein liebes Bild für meine Einsamkeit gewählt, sondern auch eins, das mich an Sie erinnern wird, so oft ich es betrachte." (Lebensbild S. 367)
 

St. Godehard in Hildesheim

Anfang November hatte das Oberappellationsgericht in Celle entschieden, dass das Urteil in erster Instanz rechtmäßig wäre. Das warf Theodor Althaus nun nicht völlig aus der Bahn, weil er zusammen mit seinem Arzt plante, auf dem Hintergrund von ärztlichen Gutachten Petitionen um eine einstweilige Freilassung aus gesundheitlichen Gründen zu stellen. Nun hieß es allerdings zunächst einmal Abschied nahmen vom familiären Umfeld im Staatsgefängnis Hannover und in das Staatsgefängnis in Hildesheim überführt werden. Das heißt die Überführung fand in einem Pferdewagen statt. Seine beiden Hannoveraner "Aufpasser" begleiteten ihn. Er notierte:

"Montag früh, zeitig geweckt, fort. Schönster Sonnenmorgen, melancholische Promenade...Mittags, als wir ankamen, fühlte ich das herrliche Sonnenlicht allumfassend, meine Geliebten und mich. Komisch war's, wie wir überall nach dem Staatsgefängniß fragten, rührend, wie Seehausen und Halsen sich beim Weggehen schweigend jeder eine Reseda aus dem Blumenglas abbrachen..." (Lebensbild S. 373)

Da das Staatsgefängnis im ehemaligen Kloster des Heiligen Godehard untergebracht war, hätte man in Hildesheim einfach nach St. Godehard fragen müssen. Das Gebäude lag am Stadtwall vor einer Wald- und Hügellandschaft, in die man von den oberen Fenstern Aussicht hatte. Auf der einen Seite hatte dieses Gefängnis mehr Bequemlichkeiten, auf der anderen Seite hatte es doch mehr Gefängnischarakter, musste Theodor doch so wohlwollende Wärter wie Seehausen und Halsen entbehren. Doch er hatte ja gelernt, sich nach und nach Annehmlichkeiten zu schaffen., wie Bücherbrett, Sofa, Blumen auf der Fensterbank. In Anbetracht der winterlichen Jahreszeit war er besonders glücklich über einen Bärenfellteppich vor seinem Stehpult. Auch "Mignon und der Harfner" an seinem neuen Platz erfährt eine besondere Erwähnung in seinen Notizen. Auch in der neuen Umgebung wird er nicht vergessen. Ein Konditorei aus Hannover schickt ihm Schokolade, ein anderer Gönner eine Kiste Zigarren. Indes war sein Antrag auf Amnestie bei den hannover'schen Kammern diskutiert worden und an ein aus beiden Kammern gewähltes Kommité verwiesen worden. Es konnte nun einige Zeit dauern, bis von diesem Ausschuss ein Vorschlag erarbeitet würde.

Theodor ließ sich nicht entmutigen. Anstatt Trübsal zu blasen, richtete er sich einigerma0ßen erträglich ein, pflegte Kontakte zu Mitgefangenen und machte Spaziergänge auf dem Wall. Außerdem nutzte er die Zeit für eine weitere größere Arbeit, die alle Umstände seiner Gefängnissituation zum Inhalt haben sollte und die später unter dem Titel "Aus dem Gefängniß" veröffentlicht wurde.

Das Jahr endete mit seinem ersten Weihnachtsfest in Unfreiheit. Dennoch war es ein erfreuliches Erlebnis, da er mit allerlei Geschenken und Leckereien von nah und fern bedacht wurde, sodass er seine neu gewonnenen Bekannten in seine Stube einladen und bewirten konnte. Von einer unbekannten Person bekam er einen kleinen geschmückten Weihnachtsbaum gebracht. Er ahnte nicht, dass Malwida von Meysenbug ihm dieses Geschenk hatte überbringen lassen. Den letzten Tag des Jahres verbrachte er allein mit den Erinnerungen an Großvater Dräseke, der im Dezember gestorben war und vor allem an seine geliebte Mutter. Sein Bruder schreibt:

"Den letzten Abend des alten Jahres verlebte Theodor allein. Herr von G. hatte ihn 'zu einer Sylvesternacht mit Austern und Rheinwein' eingeladen, aber ernst gestimmt, wie er war, hatte er sich mit der Feier der Gedenktage der Krankheit und des Todes seiner Mutter, die in diese Zeit fielen, entschuldigt." (Lebensbild S. 388)

Seiner Schwester berichtete er:

"Ich arbeitete Einiges, schrie eine Seite in mein lang versäumtes Tagebuch, und nachher setzte ich mich an den Tisch in den Ruhestuhl und las fast  alle  i h r e  Briefe durch. Außer dem langen, worin sie die Ankunft der 'Mährchen' schildert, ergriff mich am tiefsten der letzte, vom 16. November. Damals, als ich dichtete, schloß sie noch 'Träume Dir Dein Paradies!'. Diesem letzten Briefe war es vorbehalten, was sie mir noch nie geschrieben: daß sie mir ein Glück, wie sie es sonst gedacht, nicht wünschen könne. Und wie prophetisch gewiß sagte sie es: daß ich zu Opfern und Kämpfen aufgerufen werden  m ü s s e. Ich habe nie darüber geklagt, daß es geschah, so wenig ich je ekstatisch darüber entzückt war. Aber die tiefe Befriedigung, daß  s i e  die Erfüllung ihrer Worte nicht mit durchleben mußte, kennst Du...Ueber das alte Jahr habe ich etwas, über das neue noch gar nichts gedacht und ignorirte und negligire es so ganz, daß es viel aufstellen muß, um sich bei mir in Respect zu setzen." (Lebensbild S. 388)

 

 
     
 

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Leseprobe hier:

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Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld:

AlthausLesebuchAisthesis2010.htm

www.aisthesis.de

 
 



 

 

 

Wer war Theodor Althaus?

1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold

1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin

1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus

1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August

1847: Detmold, Leipzig

1848: Revolutionsjahr

1849: Im Gefängnis

1850: Aus dem Gefängnis

1851: Freiheit?

1852: Letzte Monate

 

 

 

Texte von Theodor Althaus:

Theodor Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe, Bremen 1845
Theodor Althaus, Eine Rheinfahrt im August, Bremen 1846
Theodor Althaus: Die Zukunft des Christentums, Darmstadt 1847
Theodor Althaus, Mährchen aus der Gegenwart, Leipzig 1848
Theodor Althaus, Aus dem Gefängniß Deutsche Erinnerungen und Ideale, Bremen 1850
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850, Hg. von Renate Hupfeld, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010

Veröffentlichungen über Theodor Althaus:

Friedrich Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888
Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Erster Band, Volksausgabe,  Schuster & Löffler, Berlin und Leipzig 
Dora Wegele, Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug, Zwei Gestalten des Vormärz, Marburg/Lahn 1927
Annegret Tegtmeier-Breit, Theodor Althaus, Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft in: Lippe 1848, Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen, Lippesche Landesbibliothek Detmold 1998

 

 

 

Text und Fotos:

©Renate Hupfeld

Letztes Update:

07.11.2011

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