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Ein Schnäppchen

 

Beim Anblick der kleinen Wesen konnte Konstanze einen Schrei des Entzückens nur schwer unterdrücken. Zu putzig, diese Winzlinge, die sich mit dicken, flauschigen Pfoten am Rand der Holzkiste  abstützten, sich ihr entgegenstreckten und sie mit dunklen Knopfaugen schier ansaugten. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Als sie sich hinunter beugte, um das quirligste der Fellknäuel zu streicheln, wurde ihre Hand gleich von vier Zungen beleckt. Sie beugte sich tiefer hinunter und musste insgeheim kichern, als ihr Liebling eifersüchtig an ihren Haaren ziepte.

„Ein prächtiger Wurf“, stellte Werner fest.

„Welchen hätten Sie denn gerne?“, fragte die korpulente Züchterin, die die ganze Zeit geduldig lächelnd neben ihnen gestanden hatte.

„Den da“, antwortete ihr Mann schneller, als Konstanze über eine Antwort nachdenken konnte und schon hatte sie das Wesen auf dem Arm, das sie insgeheim schon zu ihrem Favoriten erkoren hatte. Wie gut sich das seidige Fell anfühlte und wie der kleine Kerl mit seiner warmen Zunge ihr Gesicht ableckte, kuschelig.

„Es ist ein männlicher Welpe. Sein Vater ist ein reinrassiger Rüde aus der berühmten Linie vom Tannenhof. Er wird nicht sehr groß. Sehen Sie, das ist die Mutter.“  Dabei zeigte die Züchterin auf eine grauschwarze Dackelhündin, die in einer Ecke des Schuppens lag und müde blinzelte.

Die Formalitäten waren schnell erledigt. Werner konnte zufrieden sein mit diesem Schnäppchen, war er doch nun entlastet, wenn er abends aus dem Büro nach Hause kam. Konstanze würde nicht mehr krampfhaft auf ihn warten. Er müsste ihr nicht mehr über den Ablauf des Tages berichten und ihren Redeschwall über sich ergehen lassen. In aller Ruhe fernsehen und richtig entspannen nach der anstrengenden Arbeit, das brauchte er schon lange. Die Langeweile in Konstanzes Leben hätte endlich ein Ende. Wie oft hatte sie sich mehr Unterhaltung gewünscht, die würde sie dann haben bei ihren Spaziergängen zusammen mit den anderen Hundebesitzern aus der Wohngegend.

Sie hatte den Kleinen immer noch auf dem Arm, als sie den Hof verließen und in das Auto stiegen. Während der Fahrt über die Landstraße zu ihrem Reihenhaus am Rande der Stadt hatte die frischgebackene Hundemutter Mühe das lebhafte Wesen fest zu halten, so drängte es hinaus auf die Felder, aufgeregt beleckte es die Fensterscheibe.

„Zu süß, der Kleine.“ Konstanze nahm ihn mit beiden Händen hoch und schaute ihm ins Gesicht, wobei seine nasse Zunge immer länger zu werden schien.

„Er ist doch so schnuckelig“, frohlockte sie. „Nennen wir ihn Addi.“

 

Addi lebte sich schnell ein in seinem neuen Zuhause. Konstanze trug ihn viel herum, damit er seine Umgebung besser betrachten konnte. Den Hundekorb im Wohnzimmer brauchte er nicht. Viel lieber schlief er auf dem Plüschteppich. Abends beim Fernsehen lag er auf Konstanzes Schoß. Auch nachts schlief er nicht in seinem Korb. Wenn Frauchen und Herrchen oben schliefen, wollte er nicht alleine im Untergeschoss bleiben. Konstanze nahm ihn mit nach oben und legte ihn an das Fußende ihres Bettes.

Das Welpenfutter im Fressnapf ließ Addi stehen, die Mahlzeiten nahm er mit Frauchen und Herrchen zusammen am Esstisch ein. In der Nachbarschaft hatten sie einen Kinderhochstuhl ausgeliehen. Addi bekam abwechselnd von ihnen beiden mundgerechte Brocken auf seinen Teller gelegt, damit er nicht alles auf einmal verschlang. Anfangs kletterte er immer wieder auf den Tisch, um die Speisen abzulecken und mit dem Besteck zu spielen. Konstanze setzte ihn jedes Mal wieder auf seinen Platz zurück.

„Nicht schnappen, Addi, und kauen, denk daran“, ermahnte sie ihn, damit er es nicht vergaß.

„Das Zappeln bei Tisch müssen wir ihm noch abgewöhnen“, sagte Werner öfter.

„Das kriegen wir schon hin“, antwortete Konstanze dann.

Addi war eben noch ein Baby und musste langsam an das Leben in ihrer Dreiergemeinschaft gewöhnt werden.

 

Der Nachwuchs entwickelte sich gut und wuchs schnell. Nach einem Monat war Addi schon so groß wie seine Mutter, sah ihr aber gar nicht ähnlich. Er hatte nicht ihre kurzen Dackelbeine und auch nicht ihr raues, dunkles Fell. Konstanze fand ihn mit seinen langen Beinen und dem hellen Fell viel hübscher als die anderen Hunde auf dem Züchterhof. Inzwischen hatte er auch einen festen Tagesablauf.

Gegen sieben Uhr am Morgen wachte er auf, einen Wecker brauchten sie nicht mehr. Er sprang aus dem Bett und lief die Treppe hinunter. Zuerst zog es ihn in seinen Lieblingsraum, in die Küche. Mit sicherer Bewegung seiner rechten Vorderpfote öffnete er den Kühlschrank. Sie hatten eigens für ihn einen Türhebel in erreichbarer Höhe anbringen lassen. Er zerrte sein Schnitzel heraus, das Konstanze schon abends vorher für ihn bereit gelegt hatte, und ließ es zügig verschwinden.

Wenn Konstanze in die Küche kam, erwartete er sie schon mit lautem Gejohle, sprang an ihr hoch und schlug dabei mit dem Schwanz im Takt heftig gegen ihre Beine. Sie nahm ihn hoch, damit er ihr Gesicht ablecken konnte. Das fand sie immer noch hinreißend. Dann öffnete sie die Terrassentür und ließ ihn hinaus in den Garten, wo er blitzschnell sein Geschäft erledigte. Eilig kam er wieder herein gerannt  und sprang auf seinen Stuhl am Esstisch, damit er das Frühstück nicht verpasste. Er konnte jetzt auf einem normalen Stuhl sitzen und war auch nicht mehr gar so zappelig.

Nach dem Frühstück machte Addi ein ausgiebiges Morgenschläfchen, jetzt nicht mehr auf dem Teppich, sondern auf dem Sofa. Das Hochspringen war für ihn eine Leichtigkeit, darin hatte er ein ungewöhnliches Talent entwickelt. Mit einem Satz gelangte er auch auf die Arbeitsplatte in der Küche. Das war praktisch, wenn er Konstanze beim Vorbereiten des Mittagessens half. Ausgiebig beschnüffelte er alle Zutaten und verzehrte schon Mal seine Vorspeise, meistens gebratenes Fleisch mit Pfefferkruste.  

Am Nachmittag streifte er mit Frauchen durch die Felder, solange er wollte. Das war unterschiedlich, je nachdem, wie schnell er müde wurde oder ob das Wetter ihm behagte. Regentage liebte er nicht besonders.

Wenn Werner von der Arbeit nach Hause kam, stürmte er ihm nicht mehr entgegen, wie am Anfang, sondern stellte sich vor Konstanze und ließ ihn nur in ihre Nähe, wenn sie ihn auf den Arm nahm. Die Eheleute gewöhnten sich schnell daran, dass der morgendliche Abschieds- und abendliche Begrüßungskuss seit Addis Anwesenheit nicht mehr möglich war, Abstriche mussten halt gemacht werden.

Zu Abend aßen sie wieder gemeinsam und nicht zu lange, damit noch genügend Zeit für das Fernsehen zu dritt blieb. Addi wühlte sich auf dem Sofa die Kissen zurecht, bevor er den richtigen Platz hatte, während Werner und Konstanze es sich rechts und links von ihm in Sesseln bequem machten. Krimis lehnte er ab. Beim sonntäglichen Tatort bellte er seine Mitbewohner solange an, bis einer der beiden das Programm umschaltete. Es gab ja genügend andere gute Sendungen. Am liebsten sah Addi die Werbung, vor allem, wenn in den Spots gegessen wurde. Dann sprang er vom Sofa herunter, setzte sich ganz nahe vor den Bildschirm, leckte ihn ab und zog schmatzend die Zunge durch die Schnauze. Dann begnügte er sich aber mit Paprikachips und gerösteten Cashewnüssen, während Herrchen und Frauchen lieber Hundeknochen mit zartem Fleischgeschmack knabberten.

 

Nach drei Monaten reichte Addi Konstanze bis zur Brust Auch sein Kopffell war enorm gewachsen und hing ihm in glatten blonden Strähnen zu beiden Seiten des schmalen Gesichtes herunter, was zu den langen Beinen sehr attraktiv aussah. Und wie die Nasenspitze glänzte. Er war der schönste Hund im gesamten Viertel. Regelmäßiges Styling war jetzt angesagt. Vor dem Gassi gehen kämmte Konstanze ihn sorgfältig, dann kümmerte sie sich erst um ihr eigenes Outfit.

Da er so groß geworden war, brauchte er bei den Mahlzeiten keinen Stuhl mehr, sein Kopf ragte über den Esstisch hinaus und er konnte alle Leckerbissen bequem erreichen. Spaghetti waren seine Lieblingsspeise, am liebsten waren ihm die superlangen. Er machte sich einen Sport daraus, sie einzeln vom Teller zu ziehen, in die Luft zu werfen und nach ihnen zu schnappen. Wie Regenwürmer hingen sie in seiner Schnauze und mit schnellen Bewegungen ließ er sie verschwinden.

Längst war es ihm nachts zu Füßen von Konstanze zu eng geworden. Nachdem er eine Zeitlang mit ihr das Kopfkissen geteilt hatte, war sein Schlafplatz jetzt Werners Bett, der auf dem Sofa übernachtete.

Stress konnte Addi überhaupt nicht ertragen. Er brauchte viel Ruhe zwischen den anstrengenden Mahlzeiten, Stylings, Frauchen ausführen und dem Fernsehprogramm. Deshalb wurden keine Gäste mehr empfangen und Freunde besuchen war auch nicht mehr angesagt.

 

Dann kam der Tag, an dem Konstanze von Hilfeschreien vor dem Haus erschreckt wurde. Sie rannte aus der Küche zur Haustür. Addi stand im Eingang, Werner draußen vor der Tür, Panik im Gesicht.

„Konstanze!“ Werners sonst so ruhige Stimme klang fast schrill. „Konstanze, tu was, Addi lässt mich nicht hinein.“

„Warte, ich mache das schon“, rief sie zurück. Auf den Arm nehmen konnte sie ihn schon lange nicht mehr, er war inzwischen einen halben Kopf größer als sie. Sie sprang hoch und packte ihn von hinten bei den Schultern. Keine Chance. Er schüttelte sie so heftig ab, dass sie gegen den Garderobenschrank geschleudert wurde.

„Ich schaff es nicht, er ist zu stark“, schrie sie, auf dem Boden liegend.

„Ist nicht so wichtig, ich habe mir das anders überlegt.“ Werner hatte sich jetzt noch ein paar Schritte weiter vom Haus entfernt. „Ich schlafe im Motel an der Landstraße.“

„Gute Idee, Schatz.“ Konstanze stand wieder aufrecht.

„Tschüss Liebling, wir telefonieren“, rief Werner.

Langsam ging er rückwärts durch das Spalier der herbeigeeilten Nachbarn, immer den Hauseingang im Blick. Seine Frau stand im Türrahmen neben Addi und winkte ihm zu. Ja, sie passte gut zu ihm. Warum war ihm eigentlich ihr schmales Gesicht mit den langen blonden Haarsträhnen nie aufgefallen?

 

©Renate Hupfeld

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