home

 

 

 

Jazz, Soul und ein bisschen Pop

Renate Hupfeld

 

Seitdem ich am Tisch saß, war die Panik verschwunden. Das undurchdringliche Schwarz hatte sich aufgelöst. Farbige Bänder zogen durch den Raum, von Grünlichblau bis Gelblichgrün, volles Grün langsam in Blau übergehend, dann von Rötlichblau über Bläulichrot zu einem satten Rot, das sich langsam auflöste. Wie einen doch die Wahrnehmung täuschen konnte!
Nach einem Arbeitstag mit vielen Menschen und Gesprächen war es gut, hier einfach entspannt zu sitzen, auf die Töne der Gitarre zu horchen, die leuchtenden Farben hoch über meinem Kopf zu beobachten. Der Wein schmeckte, wie er sollte, nach dunkelroten Beeren. So konnte ich in Ruhe auf meine Speisen warten. Vier Gänge hatte ich an der Rezeption bestellt, die würde mir ein Geist nacheinander aus der Dunkelheit bringen.
„Was bist du für eine?“, fragte plötzlich jemand in meiner Nähe.
Saß da noch jemand am Tisch? War es hier doch wie in jedem anderen Restaurant? Ich wurde zwar nicht angestarrt, aber angequatscht. Offensichtlich war doch ich gemeint. Einfach so tun, als hätte ich nichts gehört. Ich nahm noch einen Schluck und spürte die dunkelrote Wärme sich wohlig in meinem Körper ausbreiten.  
„Ich war schon öfter hier und hatte immer gute Gespräche. Erzähl von dir“, fuhr er auch schon fort.
Was ich für eine war wollte er wissen?
„Viel unterwegs“, antwortete ich „Heute mal hier in Köln. Touristikmesse. Vielen Menschen vieles erzählt. Alles gegeben. Völlig ausgepowert.“
„Da bist du hier richtig", meinte der Schlaumeier. "Hier kannst du mal die Seele baumeln lassen."'
Ich ließ meinen Kopf baumeln und trank aus dem Suppentöpfchen, aus dem es nach Basilikum und Tomaten duftete und das ich an zwei Henkeln hielt. Mein Gegenüber am Tisch machte es genauso. Er schlürfte sogar ziemlich laut.
„Ich bin auch viel unterwegs. Heute mal wieder hier in Köln. Interview.“
„Wen interviewst du?“
„Ich wurde interviewt. Für irgendein Mittagsmagazin.“
„Warst du zufrieden?“
„Kann man sagen. Ich nutze jede Gelegenheit, um meine Botschaft rüberzubringen.“
Dachte ich es mir doch gleich, einer von diesen Engagierten. „Botschaft, ja, ja!“
„Musikalisch meine ich.“
„Ach so, du bist Musiker.“
„Gitarre und Gesang. Jazz, Soul und ein bisschen Pop.“
„Mit Band?“
„Schlagzeug und Bass. Die Songs schreibe ich selbst. Meine neue CD kommt nächste Woche raus.“
Paprika in Streifen, schön knackig. Zucchini und Gurken waren auch dabei.
„Vergiss nicht den Avocado Dipp!“ Er kannte sich hier wohl schon aus.
„Mit Knoblauch, gerade entdeckt, danke für den Hinweis. Wovon handeln deine Songs?“
„Sie erzählen Geschichten, von Schmerz, Freude, Liebe. Mit meiner Stimme und der Gitarre will ich die Zuhörer berühren.“
Hatte er mich schon berührt? Die Wörter flogen hin und her. Jimi Hendrix. Janis Joplin. Cat Stevens. Silbermond und Jan Delay. Udo Lindenberg beim Echo in der O2-Arena. Kult. Times Square. War ich letztens. Zweiundvierzigste Straße. Harbour Bridge. Muss ich demnächst wieder hin. Auftritt in Berlin. Volles Haus.
„Hier, koste mal.“ Er schob mir ein Filetstückchen in den Mund.
Ich tippte auf Lamm. „Was sagst du zu den Kartöffelchen?“
„Rosmarin, wunderbar.“
Essen. Reden. Lachen. Die Farben der Gitarre im Ohr, Vanilleduft in der Nase. Die Mousse. War es etwa schon so weit?  Sollte es das nun gewesen sein? Hätte ich gedacht, dass der Abend mir noch Schmetterlinge in den Bauch powern würde? Ich streckte ein Bein aus, bis mein Fuß unter dem Tisch ganz sachte seinen berührte. Seine Zehen streichelten meine durch das Leder hindurch. Sexy. Jung. Sehr jung. Zu jung? Lange Haare? Jeans?
„Wie wär’s zum guten Abschluss mit Champagner?“, fragte er im gleichen Moment, als ich es dachte.
„Einverstanden.“
Der gute Geist brachte ihn sofort. Ein zarter Klang der Gläser, bevor dieses feine Gesöff durch unsere Kehlen perlte.
„Ich kenne ein nettes Bistro in der Nähe. Gute Musik, nicht zu laut. Wenn du magst, können wir da noch einen Cappuccino zusammen trinken“, schlug ich vor.
„Gerne!“
Eine Hürde war da noch. Wie kam ich mit Anstand aus dieser finsteren Höhle hinaus? Auf keinen Fall durfte ich mich so blöde anstellen wie beim Hereinkommen. Diese Panik! Das kam nicht gut.
„Dann lassen wir uns doch hinaus führen“, sagte ich. 
„Ich bringe dich hinaus!“
„Du? Bist du so sicher?“
„Keine Angst.“
Plötzlich ging alles ganz einfach. Meine Hand in seiner. Schritt für Schritt, ohne zu schwanken. Der Weg kam mir gar nicht mehr so lang vor.
Dann im Foyer.
Ich blinzelte.
Stutzte.
Das war doch nicht möglich.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lassen.
So was von sympathisch.
Dunkle zurückgekämmte Haare.
Große Sonnenbrille im schmalen Gesicht.
Die Frau am Empfang wollte ihm einen langen weißen Stock in die Hand geben.
„Lassen Sie nur, den holen wir später ab“, sagte ich, nahm seine Hand in meine und ging mit ihm hinaus auf die Straße.

 

 

Kommentare an:

 renatehupfeld(at)gmail.com

 

 ©Renate Hupfeld

Archiv der Monatsgeschichten

 

 
 

1. März 2009

 

 
 

Seitenanfang

 


home