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  Theodor Althaus: "Wären die Geschäfte hier etwas mehr vorgeschritten, so hätten sich die Leute auch schon vielfacher redend und handelnd gezeigt, meine Bilder würden mehr Innerlichkeit des Wesens und schärfere Umrißlinien haben...." in der Bremer Zeitung Nr. 159 vom 7. Juni 1848.

 

 
   
 

 

Genrebilder aus Frankfurt.

III.

* Wären die Geschäfte hier etwas mehr vorgeschritten, so hätten sich die Leute auch schon vielfacher redend und handelnd gezeigt, meine Bilder würden mehr Innerlichkeit des Wesens und schärfere Umrißlinien haben. Doch mag ich sie bis dahin nicht aufschieben, es kann damit noch einige Zeit hingehen (ja wohl einige Zeit!) und die Neuheit der Sache begehrt auch ihr Recht. Vorläufig wird in der Paulskirche und in den Klubversammlungen mitunter viel „geschwätzt“, weshalb ich auch schon vorgeschlagen, die ganze Begebenheit nach Schwätzingen zu verlegen, damit gäbe der Ortsname ihr einen Beruf, den man nicht ferner tadeln dürfte. Wenn ich  K l u b v e r s a m m l u n g e n  sage, verstehe ich darunter die Zusammenkünfte, die von einzelnen Mitgliedern, Parteiführern oder ihren Adjutanten des Abends in Gasthöfen und andern passenden Räumen veranstaltet werden. Eine solche kam mehrmals zu Stande in der Sokrates-Loge auf der Döngesgasse. Ein schöner Saal, welchen die Logenbrüder vorläufig den Oesterr. Abgeordneten zu ihren Besprechungen und Geschäften geliehen hatten. Eines Abends hatte der preußische Graf Wartensleben hier ein Zusammentreffen der preuß. Abgeordneten mit jenen veranstaltet. Es war um die Zeit, wo man sich über den Raveauxschen Antrag zu verständigen hatte, nämlich daß Abgeordnete, welche nach Berlin und zugleich nach Frankfurt gewählt wurden, beide Erwählungen sollten annehmen können. Diesem Antrage lag ursprünglich wohl als Hauptidee zum Grunde die Einberufung nach Berlin zu hindern, den ganzen dortigen Reichstag vorläufig unmöglich zu machen, weil man das an ihm nothwendig hängende Gegengewicht gegen die frankfurter Nationalversammlung besorglich anschauete und ein hierher wirkendes Stören und Hemmen befürchtete. Was seitdem Robert Blum in der Paulskirche erzählt hat von der ihm verrathenen Aeußerung des preußischen Kabinets, scheint auch diesen Argwohn zu rechtfertigen, nämlich „die einzige Macht der  R e g i e r u n g e n  wider die Nat. Versammlung ist: möglichst viele Ständekammern einzuberufen!“ An jenem Abend nun war das Zusammenkommen der Oesterreicher und Preußen höchst interessant.  R a v e a u x  (aus Köln) war auch dort; er äußerte sich sehr gemäßigt, und es ließ sich schon daraus ahnen, was auch nachher geschehen ist, er werde die frühere Schärfe seiner Aufstellungen etwas mildern um denselben ihre Wirkung nicht zu entziehen. Raveaux ist eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten. Ein langer, schlanker fast hagerer Mann von mittleren Jahren; edle Gesichtszüge, ausdrucksvoll, fein und klug, dunkles Haar, spitzer dunkler Bart, tief lebendig blitzende Augen. Er redet gut, mitunter vortrefflich – ihn belebt das Bewußtsein, er habe Nothwendigkeiten, Errungenschaften zu vertheidigen und zu umbollwerken, welche man von anderer Seite gerne wieder untergraben und wegeskamotiren mögte. Der sonst nicht eben erfreuliche kölner Accent klingt mir aus seinem Mund recht angenehm. Was ich über seine Lebensstellung vernommen habe, ist auch ganz eigener Art; ich verbürge nichts, sondern erzähle nur wieder, wie mir erzählt worden. Er ist früher Soldat gewesen, und hat nachher als Freiwilliger einen Feldzug in Spanien gemacht – und zwar im Karlistenheer. Er, dieser jetzt so freisinnige Mann – ein Karlist! Vielleicht ist er eben durch das nahe Anschauen jenes starren tollen Absolutismus erst freisinnig geworden? – Oder hatte ihn ein schwärmerischer Drang des heftigen kölnischen Katholicismus in das Karlistenlager getrieben? in einen Kreuzzug  für die gefährdete Sache der allein seligmachenden Kirche? – Seine bürgerlichen Verhältnisse sollen sehr mäßiger Art sein, man sagt mir er habe in Köln nur ein bescheidenes Tabackgeschäft. Aber er gilt viel bei seinen Mitbürgern, wahrscheinlich bekleidet er auch Stadtämter – seine Reden sind von geistigen Schwingen beflügelt und getragen, sie fliegen schön und leicht hinter einander weg – die etwas hohle Stimme mischt ihnen etwas reizend melancholisches ein, und sieht man das bleiche nervengespannte Gesicht und die schwanke Gestalt an, die weißen magern langfingerigen Händen, so kommt augenblicklich die bedauernde Sorgniß: der macht es nicht lange! in diesen Anstrengungen und Parteikämpfen reibt er sich auf. Sein Kopf von dem grünen breitrandigen Filzhut überschattet, gäbe ein prachtvolles Bild, wie wir sie von Vandyck, Velasques, Murrillo haben – es ist etwas aus dem heißen leidenschaftbrütenden Süden darin, man könnte ihn geradezu für einen Spanier halten. An diesem Logenabend nun, den ich den Wartenslebenschen bezeichnen will, traten die Oesterreicher mit den Preußen in freundliche Verständigung, von beiden Seiten ward erklärt, man wolle redlich  d e u t s c h sein, jeden Hintergedanken und rivalisirenden Partikularismus abwerfen. Von beiden Seiten kam auch die Versicherung: wir haben das Berufen der Reichstände bei uns so nöthig wie das liebe Brod! ohne sie können keine Gesetze gemacht, keine Steuern ausgeschrieben werden, die Staatsmaschinen verwirren ihre Räder und drohen zusammen zu brechen. Dem letzten (oder  e r s t e n) preußischen Reichstage, sagte einer, sind 340 Anträge, zum Theil höchst dringlicher Art, eingereicht worden, davon mögen etwa 50 erledigt sein. Daraus können die Herzen hier ersehen, was das Land erwartet und begehrt, wie es vom Reichstage das Lösen dieser Stockungen hofft. Er muß sein! er darf nicht ausgesetzt werden! – Er kann nicht ausgesetzt werden! hieß es auch von Seiten der Oesterreicher (ein österreichischer Abgeordneter mit dem lieben wienerischen Accent sprechend, führte an dem Abend den Vorsitz), Ihr seht ja selbst, wie es bei uns zugeht. Ueberall Konfusion und Gegeneinanderzücken von Parteiungen und provinziellen Sonderinteressen. Wer weiß ob der Reichstag es zusammenschmelzen kann; aber wir müssen es versuchen, es ist das einzige Mittel von dem wir etwas erwarten dürfen! Der preußische  G r a f  W a r t e n s l e b e n, welcher diese Versammlung, wie schon ähnliche solcher Art, angestiftet hatte, wird wegen dieses Bestrebens mit dem Namen whipper-in (Einpeitscher, vom englischen Trainiren und Wettrennen hergenommen) bezeichnet. Ein hübscher freundlicher Mann von gewinnenden Manieren. Sein Gesicht hat den Ausdruck frischer Lebensfröhlichkeit, sein schon kahles Haupt bedeckt er in diesen Versammlungen und in den Reichstagssitzungen mit einer dunkelrothen Sammetmütze. Er spricht wie ein Mann, der sich vor Niemanden genirt, rasch und lebendig. Etwas Bedeutendes habe ich von ihm noch nicht gehört. Seine politische Richtung wird wohl eine konstitutionell-monarchische-konservative sein und sich in einer mit schwarz-weißen Geländern eingehegten Bahn bewegen. Außer der Sokrateshallenversammlung finden ähnliche statt im Hof von Holland, im deutschen Hause, im Weidenbusch etc. Farbe und Stimmung sehr verschiedener Art, hier monarchisch, dort republikanisch, das eine einige Deutschland haben sie alle im Auge, aber sie wissen es noch nicht zu greifen und fragen sich: wie sollen wir es auf die Füße hinstellen, so daß es stehen bleibt und auch gehen kann? Das vermag noch Keiner zu beantworten. Neulich war im holländischen Hof so eine Versammlung, welche eine gute Weile darüber debattirte, was zunächst besprochen werden soll. Schleswig-Holstein oder die Czechenfrage?  C l a u s s e n  aus Kiel zeigt an, es seien Nordschleswiger eingetroffen (oder, waren nur wichtige Briefe angekommen? ich weiß es nicht mehr so genau) deren Mittheilungen die Aufmerksamkeit allgemein ansprechen würden. Andere – ich meine, auch  D r o y s e n  von Kiel – sprachen im nämlichen Sinne. Dagegen ward bemerkt (von  R ü d e r  aus Oldenburg), die  C z e c h e n f r a g e  komme nächstens an die öffentliche Versammlung und deshalb werde es zweckmäßig sein, sie zunächst vorzunehmen. Da noch keine Böhmen hier waren und wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, keiner über den eigentliche Inhalt etwas Genügendes sagen konnte, so ward nach Aushülfe gesucht, und solche durch den Vorschlag dargeboten: man werde ja unter dem in Mainz garnisonirenden österreichischen Regiment, das aus Böhmen bestehe, wohl irgend einen auch der deutschen Sprache mächtigen Unteroffizier ausfindig machen, von dem man eine zuverlässige Uebersetzung bekommen könne. Welche Folge man nun diesem Einfall gegeben hat, weiß ich nicht. Die Czechenfrage führten unter diesen Umständen zu allgemeinen, deklamatorisch gehaltenen, also bedeutungslosen Wechselreden, und verlief sich im Sande. – Aus  S c h l e s w i g – H o l s t e i n  war die Nachricht gekommen, daß Wrangel die Stellung in Jütland aufgebe und zurückziehe. Warum? Weil Russland anfange zu drohen? Oder zunächst, weil er nicht Truppen genug habe, um dort bleiben zu können, wenn etwa die Dänen vor Alsen und andern Inseln aus hinter ihm wieder auf das Festland herausbrächen? Von beiden Standpunkten aus ward der Einblick in das Unsolide, Zusammenhanglose unsrer deutschen Verhältnisse sehr verdrießlich gefunden. Daß die Russen kommen werden und vielleicht sehr bald, gewiß auf eine Weise, wie wir es nicht vermuthen, ist wohl ausgemacht, und wir haben mit dem Czaren nicht darüber zu rechten, sondern uns seinen Angriff vom Halse abzuhalten. Daß unser deutscher Freiheitsaufschwung ihm ein Greuel ist, versteht sich von selbst. Dafür ist er ein Despot, und zwar ein ganzer, aus Eisen gegossen; ein Charakter, den man doch anerkennen muß, wenn man ihn auch haßt. Aber die deutschen Fürsten, welche sich durch kleinliches Verweigern, durch Halbheiten der deutschen Sache entziehen?  Welche ihre Verpflichtungen  s c h l e c h t  erfüllen, da sie eine  g a n z e  Verweigerung nicht wagen dürfen? Welche Namen verdienen sie? Uns wie verspielen sich auch durch diese Absonderung von der Volksgesinnung den Rest ihrer eigenen Existenz! Das ward lebhaft besprochen, und aus dieser unerquicklichen Gegend stieg man leicht hinan in die Region der Centralgewalt, der Exekutivmacht. Nächstens kommen wir in der Paulskirche an dieses Kapitel. Da werden Gefechte losgehen; da werden sich Gruppen und Schaaren bilden. Hoffentlich treten auch Männer hervor, die wir noch gar nicht kennen; andere, die wir wenigstens noch nicht gehört haben. So Gott will, steckt in den Hunderten noch mancher gute Kopf, noch manches Rednertalent – uns zu überraschen, die Meinungen aufzuklären, zu beherrschen, zu vereinigen oder wenigstens mit fortzureißen. Die Massen bedürfen der Führer, und zu denen, welche bis jetzt als solche vorgetreten sind, müssen noch ganz andere heran; sie werden schon kommen. Inder Hollandshof-Versammlung zeigten sich zwei Männer von sehr auffallendem, und eben so sehr von einander verschiedenen Aeußern. Einer war  d e r  a l t e  J a h n , der Uralte, der Turnahnherr – er, von dem jemand gesagt hat, seine hohe Stirn läuft ihm über den ganzen kahlen Kopf zurück, zurück bis weit in den Teutoburger Wald. Jetzt aber hat er diese so unendlich lange Stirn unter eine schwarze Sammetkappe geschoben, von den Wangen und Lippen des ehrenfesten Gesichts fließt ein langer weißgrauer Bart bis auf die Mitte der Brust hinab, um seinen Hals liegt ein breiter weißer Hemdkragen ausgebreitet über seinem schwarzen altdeutschen Rock, den er noch immer trägt, als einen stets aufzuweisenden Zeugen seiner unveränderlichen, unverwüstlichen Gesinnung. Der Alte geht wie ein junger Bursch. Natürlich, seine Glieder und Sehnen sind gestählt im dreißigjährigen Krieg für die Turnerei! „Daß sie mich armen Kern hieher gewählt haben (so erzählt man, hat er neulich gesprochen) war am Ende ein wunderlicher Einfall, obwohl gut gemeint. Jedoch werde ich altes Haus durch mein Reden und Thun der Sache wohl eben nicht sonderlich nutzen. Aber ich habe die Wahl unbedenklich angenommen; sie hätte ja sonst auf einen andern fallen können, der noch weniger taugt!“ In diesem Humor liegt doch eine recht wackre Gesinnung. Und daß  J a h n  und  A r n d t  in der ersten deutschen Nationalversammlung nicht fehlen durften, versteht sich von selbst. In ihren Namen liegen tausend Gründe dafür.

Der zweite mir auffallende Mann war  W y d e n b r u g k  von Weimar, bisher dort Advokat, nun Minister. Ein kleiner etwas verwachsener Mann mit einem blassen Gesicht, dessen Stirn, hervorstrebende Nase und fein umgeschlagene Lippen eine merkwürdige Physiognomie zusammenbauen. Wenn er schweigt und hört, liegen die Augen halbgeschlossen träumerisch in ihren Höhlen, wenn er anfängt zu reden, gehen die Augenlieder in die Höhe, und ein seltsamer Blick tritt heraus, nicht frech aber hart, nicht zündend aber eindringend. Er redet langsam, mit einer kalten Ironie im Ton der Stimme. Was ich bis jetzt von ihm gehört habe, war alles klug, scharf zugeschnitten, und auch scharf schneidend. Der  s c h e i n t  ein bedeutender Mensch zu sein. Das  w i e  muß sich auch noch erst herausstellen. Ueber seine politische Gesinnung zu reden, wäre von mir wohl Anmaßung, übereilte Uebereilung. Er wird, wie sein Blick jetzt, wohl dann erst aus der Höhle treten, wenn die große Frage in die Versammlung hereinwallt: wollt ihr einen Kaiser? – welchen Kaiser? – wo ist er? – Auf dieses Wort müssen eine Menge geharnischter Kämpfer in die Höhe rasseln. Die Schwerter und Schilde müssen blitzend gegeneinander zucken und stoßen. Deutschland erwartet eine Schlacht – jeder Heerhaufen wünscht natürlich den Sieg – aber wünschen diese auch das Gefecht? Wird dieses Gefecht nicht ein Kampf auf Leben und Tod? – der Männer des Kadmus, Drachenzähne, geschleuderte Saat – aufschießend, sich gegenseitig zu erwürgen?!-

 

 Doch mag ich sie bis dahin nicht aufschieben, es kann damit noch einige Zeit hingehen (ja wohl einige Zeit!) und die Neuheit der Sache begehrt auch ihr Recht. Vorläufig wird in der Paulskirche und in den Klubversammlungen mitunter viel „geschwätzt“, weshalb ich auch schon vorgeschlagen, die ganze Begebenheit nach Schwätzingen zu verlegen, damit gäbe der Ortsname ihr einen Beruf, den man nicht ferner tadeln dürfte. Wenn ich  K l u b v e r s a m m l u n g e n  sage, verstehe ich darunter die Zusammenkünfte, die von einzelnen Mitgliedern, Parteiführern oder ihren Adjutanten des Abends in Gasthöfen und andern passenden Räumen veranstaltet werden. Eine solche kam mehrmals zu Stande in der Sokrates-Loge auf der Döngesgasse. Ein schöner Saal, welchen die Logenbrüder vorläufig den Oesterr. Abgeordneten zu ihren Besprechungen und Geschäften geliehen hatten. Eines Abends hatte der preußische Graf Wartensleben hier ein Zusammentreffen der preuß. Abgeordneten mit jenen veranstaltet. Es war um die Zeit, wo man sich über den Raveauxschen Antrag zu verständigen hatte, nämlich daß Abgeordnete, welche nach Berlin und zugleich nach Frankfurt gewählt wurden, beide Erwählungen sollten annehmen können. Diesem Antrage lag ursprünglich wohl als Hauptidee zum Grunde die Einberufung nach Berlin zu hindern, den ganzen dortigen Reichstag vorläufig unmöglich zu machen, weil man das an ihm nothwendig hängende Gegengewicht gegen die frankfurter Nationalversammlung besorglich anschauete und ein hierher wirkendes Stören und Hemmen befürchtete. Was seitdem Robert Blum in der Paulskirche erzählt hat von der ihm verrathenen Aeußerung des preußischen Kabinets, scheint auch diesen Argwohn zu rechtfertigen, nämlich „die einzige Macht der  R e g i e r u n g e n  wider die Nat. Versammlung ist: möglichst viele Ständekammern einzuberufen!“ An jenem Abend nun war das Zusammenkommen der Oesterreicher und Preußen höchst interessant.  R a v e a u x  (aus Köln) war auch dort; er äußerte sich sehr gemäßigt, und es ließ sich schon daraus ahnen, was auch nachher geschehen ist, er werde die frühere Schärfe seiner Aufstellungen etwas mildern um denselben ihre Wirkung nicht zu entziehen. Raveaux ist eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten. Ein langer, schlanker fast hagerer Mann von mittleren Jahren; edle Gesichtszüge, ausdrucksvoll, fein und klug, dunkles Haar, spitzer dunkler Bart, tief lebendig blitzende Augen. Er redet gut, mitunter vortrefflich – ihn belebt das Bewußtsein, er habe Nothwendigkeiten, Errungenschaften zu vertheidigen und zu umbollwerken, welche man von anderer Seite gerne wieder untergraben und wegeskamotiren mögte. Der sonst nicht eben erfreuliche kölner Accent klingt mir aus seinem Mund recht angenehm. Was ich über seine Lebensstellung vernommen habe, ist auch ganz eigener Art; ich verbürge nichts, sondern erzähle nur wieder, wie mir erzählt worden. Er ist früher Soldat gewesen, und hat nachher als Freiwilliger einen Feldzug in Spanien gemacht – und zwar im Karlistenheer. Er, dieser jetzt so freisinnige Mann – ein Karlist! Vielleicht ist er eben durch das nahe Anschauen jenes starren tollen Absolutismus erst freisinnig geworden? – Oder hatte ihn ein schwärmerischer Drang des heftigen kölnischen Katholicismus in das Karlistenlager getrieben? in einen Kreuzzug  für die gefährdete Sache der allein seligmachenden Kirche? – Seine bürgerlichen Verhältnisse sollen sehr mäßiger Art sein, man sagt mir er habe in Köln nur ein bescheidenes Tabackgeschäft. Aber er gilt viel bei seinen Mitbürgern, wahrscheinlich bekleidet er auch Stadtämter – seine Reden sind von geistigen Schwingen beflügelt und getragen, sie fliegen schön und leicht hinter einander weg – die etwas hohle Stimme mischt ihnen etwas reizend melancholisches ein, und sieht man das bleiche nervengespannte Gesicht und die schwanke Gestalt an, die weißen magern langfingerigen Händen, so kommt augenblicklich die bedauernde Sorgniß: der macht es nicht lange! in diesen Anstrengungen und Parteikämpfen reibt er sich auf. Sein Kopf von dem grünen breitrandigen Filzhut überschattet, gäbe ein prachtvolles Bild, wie wir sie von Vandyck, Velasques, Murrillo haben – es ist etwas aus dem heißen leidenschaftbrütenden Süden darin, man könnte ihn geradezu für einen Spanier halten. An diesem Logenabend nun, den ich den Wartenslebenschen bezeichnen will, traten die Oesterreicher mit den Preußen in freundliche Verständigung, von beiden Seiten ward erklärt, man wolle redlich  d e u t s c h sein, jeden Hintergedanken und rivalisirenden Partikularismus abwerfen. Von beiden Seiten kam auch die Versicherung: wir haben das Berufen der Reichstände bei uns so nöthig wie das liebe Brod! ohne sie können keine Gesetze gemacht, keine Steuern ausgeschrieben werden, die Staatsmaschinen verwirren ihre Räder und drohen zusammen zu brechen. Dem letzten (oder  e r s t e n) preußischen Reichstage, sagte einer, sind 340 Anträge, zum Theil höchst dringlicher Art, eingereicht worden, davon mögen etwa 50 erledigt sein. Daraus können die Herzen hier ersehen, was das Land erwartet und begehrt, wie es vom Reichstage das Lösen dieser Stockungen hofft. Er muß sein! er darf nicht ausgesetzt werden! – Er kann nicht ausgesetzt werden! hieß es auch von Seiten der Oesterreicher (ein österreichischer Abgeordneter mit dem lieben wienerischen Accent sprechend, führte an dem Abend den Vorsitz), Ihr seht ja selbst, wie es bei uns zugeht. Ueberall Konfusion und Gegeneinanderzücken von Parteiungen und provinziellen Sonderinteressen. Wer weiß ob der Reichstag es zusammenschmelzen kann; aber wir müssen es versuchen, es ist das einzige Mittel von dem wir etwas erwarten dürfen! Der preußische  G r a f  W a r t e n s l e b e n, welcher diese Versammlung, wie schon ähnliche solcher Art, angestiftet hatte, wird wegen dieses Bestrebens mit dem Namen whipper-in (Einpeitscher, vom englischen Trainiren und Wettrennen hergenommen) bezeichnet. Ein hübscher freundlicher Mann von gewinnenden Manieren. Sein Gesicht hat den Ausdruck frischer Lebensfröhlichkeit, sein schon kahles Haupt bedeckt er in diesen Versammlungen und in den Reichstagssitzungen mit einer dunkelrothen Sammetmütze. Er spricht wie ein Mann, der sich vor Niemanden genirt, rasch und lebendig. Etwas Bedeutendes habe ich von ihm noch nicht gehört. Seine politische Richtung wird wohl eine konstitutionell-monarchische-konservative sein und sich in einer mit schwarz-weißen Geländern eingehegten Bahn bewegen. Außer der Sokrateshallenversammlung finden ähnliche statt im Hof von Holland, im deutschen Hause, im Weidenbusch etc. Farbe und Stimmung sehr verschiedener Art, hier monarchisch, dort republikanisch, das eine einige Deutschland haben sie alle im Auge, aber sie wissen es noch nicht zu greifen und fragen sich: wie sollen wir es auf die Füße hinstellen, so daß es stehen bleibt und auch gehen kann? Das vermag noch Keiner zu beantworten. Neulich war im holländischen Hof so eine Versammlung, welche eine gute Weile darüber debattirte, was zunächst besprochen werden soll. Schleswig-Holstein oder die Czechenfrage?  C l a u s s e n  aus Kiel zeigt an, es seien Nordschleswiger eingetroffen (oder, waren nur wichtige Briefe angekommen? ich weiß es nicht mehr so genau) deren Mittheilungen die Aufmerksamkeit allgemein ansprechen würden. Andere – ich meine, auch  D r o y s e n  von Kiel – sprachen im nämlichen Sinne. Dagegen ward bemerkt (von  R ü d e r  aus Oldenburg), die  C z e c h e n f r a g e  komme nächstens an die öffentliche Versammlung und deshalb werde es zweckmäßig sein, sie zunächst vorzunehmen. Da noch keine Böhmen hier waren und wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, keiner über den eigentliche Inhalt etwas Genügendes sagen konnte, so ward nach Aushülfe gesucht, und solche durch den Vorschlag dargeboten: man werde ja unter dem in Mainz garnisonirenden österreichischen Regiment, das aus Böhmen bestehe, wohl irgend einen auch der deutschen Sprache mächtigen Unteroffizier ausfindig machen, von dem man eine zuverlässige Uebersetzung bekommen könne. Welche Folge man nun diesem Einfall gegeben hat, weiß ich nicht. Die Czechenfrage führten unter diesen Umständen zu allgemeinen, deklamatorisch gehaltenen, also bedeutungslosen Wechselreden, und verlief sich im Sande. – Aus  S c h l e s w i g – H o l s t e i n  war die Nachricht gekommen, daß Wrangel die Stellung in Jütland aufgebe und zurückziehe. Warum? Weil Russland anfange zu drohen? Oder zunächst, weil er nicht Truppen genug habe, um dort bleiben zu können, wenn etwa die Dänen vor Alsen und andern Inseln aus hinter ihm wieder auf das Festland herausbrächen? Von beiden Standpunkten aus ward der Einblick in das Unsolide, Zusammenhanglose unsrer deutschen Verhältnisse sehr verdrießlich gefunden. Daß die Russen kommen werden und vielleicht sehr bald, gewiß auf eine Weise, wie wir es nicht vermuthen, ist wohl ausgemacht, und wir haben mit dem Czaren nicht darüber zu rechten, sondern uns seinen Angriff vom Halse abzuhalten. Daß unser deutscher Freiheitsaufschwung ihm ein Greuel ist, versteht sich von selbst. Dafür ist er ein Despot, und zwar ein ganzer, aus Eisen gegossen; ein Charakter, den man doch anerkennen muß, wenn man ihn auch haßt. Aber die deutschen Fürsten, welche sich durch kleinliches Verweigern, durch Halbheiten der deutschen Sache entziehen?  Welche ihre Verpflichtungen  s c h l e c h t  erfüllen, da sie eine  g a n z e  Verweigerung nicht wagen dürfen? Welche Namen verdienen sie? Uns wie verspielen sich auch durch diese Absonderung von der Volksgesinnung den Rest ihrer eigenen Existenz! Das ward lebhaft besprochen, und aus dieser unerquicklichen Gegend stieg man leicht hinan in die Region der Centralgewalt, der Exekutivmacht. Nächstens kommen wir in der Paulskirche an dieses Kapitel. Da werden Gefechte losgehen; da werden sich Gruppen und Schaaren bilden. Hoffentlich treten auch Männer hervor, die wir noch gar nicht kennen; andere, die wir wenigstens noch nicht gehört haben. So Gott will, steckt in den Hunderten noch mancher gute Kopf, noch manches Rednertalent – uns zu überraschen, die Meinungen aufzuklären, zu beherrschen, zu vereinigen oder wenigstens mit fortzureißen. Die Massen bedürfen der Führer, und zu denen, welche bis jetzt als solche vorgetreten sind, müssen noch ganz andere heran; sie werden schon kommen. Inder Hollandshof-Versammlung zeigten sich zwei Männer von sehr auffallendem, und eben so sehr von einander verschiedenen Aeußern. Einer war  d e r  a l t e  J a h n , der Uralte, der Turnahnherr – er, von dem jemand gesagt hat, seine hohe Stirn läuft ihm über den ganzen kahlen Kopf zurück, zurück bis weit in den Teutoburger Wald. Jetzt aber hat er diese so unendlich lange Stirn unter eine schwarze Sammetkappe geschoben, von den Wangen und Lippen des ehrenfesten Gesichts fließt ein langer weißgrauer Bart bis auf die Mitte der Brust hinab, um seinen Hals liegt ein breiter weißer Hemdkragen ausgebreitet über seinem schwarzen altdeutschen Rock, den er noch immer trägt, als einen stets aufzuweisenden Zeugen seiner unveränderlichen, unverwüstlichen Gesinnung. Der Alte geht wie ein junger Bursch. Natürlich, seine Glieder und Sehnen sind gestählt im dreißigjährigen Krieg für die Turnerei! „Daß sie mich armen Kern hieher gewählt haben (so erzählt man, hat er neulich gesprochen) war am Ende ein wunderlicher Einfall, obwohl gut gemeint. Jedoch werde ich altes Haus durch mein Reden und Thun der Sache wohl eben nicht sonderlich nutzen. Aber ich habe die Wahl unbedenklich angenommen; sie hätte ja sonst auf einen andern fallen können, der noch weniger taugt!“ In diesem Humor liegt doch eine recht wackre Gesinnung. Und daß  J a h n  und  A r n d t  in der ersten deutschen Nationalversammlung nicht fehlen durften, versteht sich von selbst. In ihren Namen liegen tausend Gründe dafür.

Der zweite mir auffallende Mann war  W y d e n b r u g k  von Weimar, bisher dort Advokat, nun Minister. Ein kleiner etwas verwachsener Mann mit einem blassen Gesicht, dessen Stirn, hervorstrebende Nase und fein umgeschlagene Lippen eine merkwürdige Physiognomie zusammenbauen. Wenn er schweigt und hört, liegen die Augen halbgeschlossen träumerisch in ihren Höhlen, wenn er anfängt zu reden, gehen die Augenlieder in die Höhe, und ein seltsamer Blick tritt heraus, nicht frech aber hart, nicht zündend aber eindringend. Er redet langsam, mit einer kalten Ironie im Ton der Stimme. Was ich bis jetzt von ihm gehört habe, war alles klug, scharf zugeschnitten, und auch scharf schneidend. Der  s c h e i n t  ein bedeutender Mensch zu sein. Das  w i e  muß sich auch noch erst herausstellen. Ueber seine politische Gesinnung zu reden, wäre von mir wohl Anmaßung, übereilte Uebereilung. Er wird, wie sein Blick jetzt, wohl dann erst aus der Höhle treten, wenn die große Frage in die Versammlung hereinwallt: wollt ihr einen Kaiser? – welchen Kaiser? – wo ist er? – Auf dieses Wort müssen eine Menge geharnischter Kämpfer in die Höhe rasseln. Die Schwerter und Schilde müssen blitzend gegeneinander zucken und stoßen. Deutschland erwartet eine Schlacht – jeder Heerhaufen wünscht natürlich den Sieg – aber wünschen diese auch das Gefecht? Wird dieses Gefecht nicht ein Kampf auf Leben und Tod? – der Männer des Kadmus, Drachenzähne, geschleuderte Saat – aufschießend, sich gegenseitig zu erwürgen?!-

 

 
     
 

 

Text und Fotos: © Renate Hupfeld

 

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